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Zu Besuch beim „King of Kink“

Studiert man Kunstgeschichte in Berlin, muss man auch einen so genannten Mentoriumskurs belegen, in dessen Rahmen man jede Woche ein anderes Museum besucht und das theoretisch Erlernte am Objekt vor Ort umsetzt. Meine erste Bildbeschreibung durfte ich daher an einem echten Botticelli in der Gemäldegalerie Berlin machen. So arbeiteten wir uns im Laufe des Kurses durch die Jahrhunderte und gingen am Ende in das Museum für Fotografie. Ich war voller Vorfreude, weil ich schon ausgezeichnete Fotoausstellungen gesehen hatte und sehr gespannt war, was uns jetzt erwartete.

Allerdings sollte man wissen, dass das Museum für Fotografie dem australischen Modefotografen Helmut Newton sehr viel Platz einräumt. In der Eingangshalle des Museums wurden wir dann auch gleich von den „Big Nudes“, überlebensgroßen Fotografien nackter Frauen, empfangen. Auf diesem Buchcover ist eines der Bilder zu sehen: Big Nudes
Die Schwarz-Weiß-Fotografien sind recht ansehnlich – die Frauen posieren schlicht, nicht aufreizend und sind auch nicht übermäßig dünn, was ich angesichts des Schlankheits-Model-Wahnsinns als angenehme und ästhetisch ansprechende Abwechslung empfinde.

Im weiteren Verlauf der Ausstellung wird es anstrengend für Leute, die sich nicht für Modefotografie interessieren und auch ein klein bisschen sensibel sind, was die Darstellung von Frauen betrifft. Denn Helmut Newton hatte wohl ein sehr seltsames Frauenbild. Es gibt zwar auch einige Fotos, die ich unter „normalen“ Modefotografien einordnen würde, aber bei sehr vielen hat die Inszenierung der Frauen immer einen leichten Fetisch-Touch, schwankt immer zwischen devoter Sklavin und dominanter Herrin. Da die Bilder aber eben von einem Mann inszeniert wurden und die Überlegenheit der Männer auf vielen Fotos demonstriert wird, sind die Frauen für mich auf keinem einzigen der Fotos wirklich dominant – wie eine meiner Kommilitoninnen behauptete. Wenn diese Fotos in einem BDSM-Buch abgebildet wären, hätte ich überhaupt kein Problem damit. Aber das als normales Frauenbild in Modezeitschriften mit einer riesigen Auflage, die unsere Medienlandschaft prägen?

Um mal ein paar Beispiele zu nennen:

  • nackte Frau im Pool, von oben fotografiert, die Beine weit gespreizt, zwischen/auf die Beine zufahrend ein Kriegsspielzeugschiff
  • eine tot aussehende Frau liegt bewegungslos am Ufer des Meeres mit dem Kopf nach unten
  • Claudia Schiffer, die im engen Hosenanzug – ganz Business Woman – umwerfend aussehend, dynamisch zu einer Hoteltür hereinkommt – hinter der Tür sieht man einen halbglatzigen Mann, der gerade mit einem Zimmermädchen herumschmust
  • eine Frau in irgendeinen engen Stoff eingewickelt, auf einem Esstisch platziert, Messer und Teller daneben, Männer stehen dahinter und sehen sie an

Zeit online nannte Newtons Motive in einem Artikel von 1994 bedrückend und beschreibt sie folgendermaßen: „Die dominierende Perspektive ist die von Tätern (männlich) und Opfern (weiblich), von Objekt und Begierde. Ein – bekleidetes – Mädchen, etwa sechs Jahre alt, gefesselt auf dem Todesstuhl in einer amerikanischen Gaskammer. Bleiche Frauen, erstarrt oder wie leblos mit geschlossenen Augen auf Bänken ausgestreckt. In Ketten gefesselt, an stählernem Gestänge gekreuzigt oder am Strick als Sklavenware vorgeführt. Mit Pickelhaube und Nietenzubehör. Auf dem Rücken liegend, mit Lederbändern fixiert, von einer Riesendogge überwältigt.“ Den ganzen Artikel findet man hier

Die Frauen in Newtons Fotografien haben immer etwas puppenhaftes – da macht es auch Sinn, dass in dem im Museum nachgestellten Büro Newtons Barbiepuppen auf einem Regal sitzen. Die Frauen in seinen Fotografien haben stets maskenhafte Gesichter und perfekte Maße – der Einwand einer Ausstellungsbesucherin, die wären ja nicht so dünn wie die Models heute, zählt nicht, da die meisten Fotos aus den Achtzigern sind – da waren die Models einfach noch nicht so dürr, der „Heroin-Look“ war noch nicht erfunden. Newton lichtete zum Beispiel auch gerne Cindy Crawford ab, die eher eine weibliche Figur hat.

Aber was mir gar nicht bewusst war: Helmut Newton ist mit seiner seltsamen Art von Modefotos nicht allein. Anscheinend kommt es öfter vor, das Frauen in seltsamen, verdrehten oder gar schmerzhaft aussehenden Posen fotografiert werden: Die Soziologin Lisa Wade berichtet im Blog „Sociological Images“ über eine Fashion Slideshow der New York Times, bei der ich – bei aller Liebe zu tollen Outfits – mir wirklich nicht vorstellen kann, dass das irgend jemandem gefällt: Sociological Images

Sind diese Fotos ästhetisch? Ist das Kunst und wenn ja, darf Kunst alles? Wollen Fotografen wie Helmut Newton schlicht provozieren und ist dann unter dem Stichwort „Provokation“ alles erlaubt? Wie wäre es eigentlich, wenn Männer so fotografiert würden? Wenn eine Frau gerne Männer geknebelt und gefesselt in devoten Posen fotografieren würde? Ist es normaler und von der Gesellschaft akzeptierter, dass Frauen so dargestellt werden? Ist das gut? Sollte das anders sein? Und was sagt das über unsere Gesellschaft aus? Darf man diese Fragen überhaupt stellen oder ist man dann „Emanze“, „prüde“ oder „verklemmt“ und macht Probleme, wo eigentlich keine sind?

Ich finde es wichtig, dahinter zu blicken. Auch hinter – wie ich meine – Phrasen von Frauen, wie „die Frauen sind doch nicht so dünn, ist doch gut!“ oder „sie sind doch auch mal dominant!“ – das ist mir zu wenig. Kunst liegt im Auge des Betrachters. Und dieser darf Fragen stellen.

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4 Kommentare zu “Zu Besuch beim „King of Kink“

  1. Interessanter Beitrag. Ich stimme Dir zu, das macht nachdenklich.

    Danke für den Link zu Lisa Wades Beitrag…

    • Danke für das Feedback!
      Ich finde es wirklich interessant, dass ein staatliches Museum diese Helmut Newton-Stiftung beherbergt…
      Freut mich, dass Dir „Sociological Images“ auch gefällt – die haben immer interessante Beiträge, die nachdenklich machen.

    • Oh, vielen Dank für den Link! Der Artikel ist großartig, weil er durch den Vergleich mit den „normalen“ Frauen auf sehr lustige Art zeigt, wie unnatürlich und merkwürdig diese Modelposen eigentlich sind. Das ist wirklich ein sehr interessantes Thema – ich frage mich gerade, ob es dazu noch weitergehende Untersuchungen gibt. Muss ich mal bei Gelegenheit danach suchen.

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