Als wäre der Ärger mit dem Portugiesischkurs nicht genug, hatte ich dieses Semester auch kein Glück mit der Auswahl des Mentoriums in Kunstgeschichte. Die meisten Mentorien finden dieses Semester samstags statt – der Tag, den ich mir sonst immer frei halte. Dazu sind die zwei Dozenten – Studenten des vierten Semesters – etwas verkrampft.
An diesem Samstag hieß es um fünf Uhr früh aufstehen, da wir uns um sieben am Hauptbahnhof trafen. Frierend stand dort ein Häufchen müder Studenten, um mit der Bummelbahn via Cottbus über drei Stunden lang nach Dresden zu tuckern. Eigentlich hatte im Raum gestanden, dort zu übernachten, aber da die Dozenten lediglich Links mit Jugendherbergen per E-Mail verschickt hatten, in denen man hätte schlafen können und man sich dann zum abendlichen Umtrunk und sonntäglichen Museumsbesuch irgendwo in der Stadt treffen würde, man also nicht gemeinsam in einer Jugendherberge schlafen würde, hatte schließlich keiner mehr Lust darauf (okay, es kann auch mit dem Anschiss zu tun haben, den wir bekamen, weil wir in Berlin letztens nicht gut mitgearbeitet hatten, aber ich hatte ein Referat über die hässlichste Kathedrale der Welt – St. Hedwig – gehalten und war meiner Meinung nach aus der Nummer raus).
Das Übernachtungsgepäck hätte man außerdem den ganzen Tag mitschleppen müssen, weil das Programm natürlich sofort starten musste und man keine Zeit gehabt hätte, erst ins Hostel zu fahren. Wo wir auch schon beim Kern des Problems sind: Es ist klar, dass man so viel wie möglich sehen/zeigen möchte, wenn man drei Stunden einfache Fahrzeit hat, aber das Programm, was unsere beiden Dozenten abspulten, war wirklich absurd. Wir kamen in Dresden an und liefen schnurstracks zur Altstadt, um uns den Georgenbau anzusehen – natürlich nur die Fassade – wir machen ja schließlich einen Architekturkurs. Ich sagte, dass man nachher vielleicht einen Spaziergang an der Elbe machen könne, worauf eine Studentin erwiderte, dass die Elbe doch in Hamburg sei (interessanter Blickwinkel auf Flüsse, die seit neuestem wohl an gewissen Städten festgetackert sind). Auf meine Rückfrage, welcher Fluss ihrer Ansicht nach durch Dresden fließe, kam nichts zurück. Das beschreibt den Stand unseres Bildungssystems, glaube ich, ziemlich gut.
Anschließend eine Baubeschreibung des Kurfürstenzugs und des Residenzschlosses. Darauf sollte es sogar eine Mittagspause von einer Stunde geben, womit der Stress erst richtig begann: Es hieß, wenn man sich Raffaels Sixtinische Madonna anschauen wolle, müsse man das jetzt tun, weil danach keine Zeit mehr sei. Also lief ich mit Maja, einer anderen Studentin, kurz ein paar Straßen weiter, weil wir eigentlich gerne etwas Warmes zu essen gehabt hätten. Aber im touristischen Zentrum Dresdens gab es auf die Schnelle nur die üblichen Rostbratwürste, die ich ja sowieso nicht esse und auf die auch sie keine Lust hatte. Als wir so auf Nahrungssuche umherirrten, merkten wir, wie schnell die Zeit verging. Also hängten wir die anderen Studenten forsch ab und liefen zurück zum Zwinger. Dort hatten wir noch eine halbe Stunde Zeit für die Sixtinische Madonna. Also Taschen einsperren, Tickets holen (die Dresdner Kunstmuseen sind für Kunstgeschichtsstudenten umsonst – großartige Stadt!) und in die Schlange einreihen. Das Museum war extrem gut besucht, es war Samstag Mittag und die neue Ausstellung mit Leihgaben anderer Gemälde Raffaels hatte begonnen. Wir hüpften nervös von einem Bein aufs andere, bis wir endlich hinein konnten.
Gleich im ersten Raum stand die Sixtinische Madonna und man kann es nicht anders als ergreifend nennen, wenn man vor diesem fantastischem Gemälde steht. Da sich Maja auf „die Holländer“ spezialisieren möchte, mussten wir aber auch Jan Vermeers Bild „Brieflesendes Mädchen am offenen Fenster“ ansehen. Ich fragte eine der Museumsangestellten, wo sich dieses Bild befindet und wir rannten – da wir nur noch eine Viertelstunde Zeit hatten – durch die riesige Gemäldegalerie Alte Meister – an Rubens, Tizians, Rembrandts und Dürer-Gemälden vorbei. Aus den Augenwinkeln konnte ich zumindest Blicke auf Gemälde erhaschen, die wir schon durchgenommen hatten. Neben Vermeer hing zu meiner Freude ein Ter Borch – er vermag es, den Kleidern der Damen, die in seinen Bildern vorkommen, einen faszinierenden, echt aussehenden Glanz zu verleihen. Als wir schließlich zurückgerannt waren und draußen vor dem Zwinger am vereinbarten Treffpunkt standen, hatten wir nichts zu essen bekommen, waren aber dafür klatschnass geschwitzt.
Es ging weiter mit der Baugeschichte des Zwingers. Man muss dazu wissen, dass an diesem Samstag Christopher Street Day in Dresden war und wir den ganzen Tag eine musikalische „utz – utz – utz“-Untermalung von der Bühne und den durch die Stadt ziehenden Wagen inklusive krakeelender Menschen hatten. Außerdem gab es noch diverse Blaskapellen, Akkordeon- und Klarinettenspieler, klassische Sängerinnen und Junggesellenabschiede, die Lärm machten. Ein kräftiger Wind blies dazu und man kann sich vorstellen, wie viel wir von manchen Vorträgen akustisch verstanden. Vom Zwinger liefen wir zur Frauenkirche, es gab – Ihr ahnt es – eine Baubeschreibung und danach ging es zurück zur Hofkirche. Wir trafen uns an diesem Tag alleine fünfmal am Friedrich-August-Denkmal auf dem Schlossplatz – warum wir die Gebäude, die nebeneinander lagen, nicht nacheinander abhakten, bleibt das Geheimnis unserer Dozenten, da es auch keine chronologische Reihenfolge gab, die man hätte nachvollziehen können.
Die Baubeschreibung der Hofkirche folgte, die auf der Rückseite extrem anstrengend wurde, da gerade ein Transvestit auf der Bühne sang und es wirklich unmöglich war, auch nur ein Wort zu verstehen. Aber das Notwendige auf der anderen, stilleren Seite der Kirche zu sagen, ging nicht, weil man diese Seite unbedingt dazu sehen musste. Jetzt durften wir tatsächlich auch in die Kirche hinein, die im klassizistischen Stil ausgestattet ist. Maja und ich gingen nach einer Weile hinaus und warteten auf die anderen. Nachdem wir ungefähr eine Viertelstunde so dastanden, kam es uns langsam komisch vor und wir gingen hinein, um nachzusehen, was die anderen in der nicht besonders üppig ausgestatteten Kirche trieben. Bloß – da war niemand mehr! Die Kirche hatte auf der anderen Seite auch einen Ausgang und der Kurs war einfach ohne uns weiter gelaufen! Wir rannten um die Kirche herum – im Programm stand etwas von einer halbstündigen Pause (die aber mit den realen Zeiten schon längst nicht mehr übereinstimmte, weil es schon viel später) war – also keine Chance, die anderen zu finden.
Wir zurück auf die andere Seite, zum beliebten Treffpunkt Friedrich-August-Denkmal hin und zufällig stießen wir auf unsere Dozentin, die uns – ziemlich unwirsch – sagte, dass wir uns um Viertel vor an der Treppe daneben träfen. Maja hatte aber zuvor die vor der Kirche stehenden Pferde gestreichelt und wollte sich die Hände waschen. Wir also ins Residenzschloss hinein, wo es extrem voll war und wir Mühe hatten, zum Waschbecken vorzudringen. Also kamen wir drei Minuten zu spät zum vereinbarten Treffpunkt, an dem keiner mehr war. Maja bekam Angst, dass die Dozenten langsam sauer auf sie würden, weil sie mit der Bibliographie in ihrem Referat etwas geschludert hatte. Wir rannten die Treppe hinauf, weil eigentlich der nächste Punkt die dortige Brühlsche Terrasse hätten sein sollen. Kein Kursteilnehmer weit und breit zu sehen.
Also wieder zurück auf die andere Seite der Hofkirche, wo sich der Zwinger und die Semperoper befinden, die auch noch auf dem Programm stand. Auch niemand. Nur einer der Dozenten hatte ein Handy dabei, ich rief an, er ging nicht ran. Maja war jetzt wirklich panisch, da sie kein Geld für eine etwaige Übernachtung dabei hatte und Angst hatte, den Schein für das Seminar nicht zu bekommen. Da erreichte ich aber den Dozenten – sie waren auf der vermuteten Terrasse, eben nur ein ganzes Stück weiter. Nach dieser Aufregung gab es ein Referat an der Semperoper, untermalt von einem Schlagerfuzzi, der „Rette sich, wer kann!“ (was ich liebend gerne getan hätte!) auf der nebenan aufgebauten Bühne sang. Die Vortragende musste fast brüllen, um sich verständlich zu machen. Die Exkursion endete mit einem Ausflug zum Kulturpalast, einem DDR-Bau, und dem spektakulär aussehenden Ufa-Kristallkino.
Wir hetzten danach zum Bahnhof zurück, weil wir nur noch eine halbe Stunde bis zur Abfahrt unseres Zuges hatten. Maja und ich hatten aber dieses Mal Glück, weil wir einen asiatischen Imbiss fanden, in dem wir für die Fahrt wenigstens noch ein rotes Thai-Curry mit Tofu besorgen konnten. Mit dem stanken wir dann den ganzen Waggon voll, was uns aber egal war, weil wir wenigstens etwas Ordentliches (was bei Tofu wahrscheinlich Ansichtssache ist) zu essen gefunden hatten – im Gegensatz zu den anderen, die an ihren selbst geschmierten Broten mümmelten und einem fast leidtun konnten. Allerdings hatte ein kleines Grüppchen um unseren Dozenten herum (die andere Dozentin übernachtete als einzige in Dresden) Bier besorgt und wir waren überrascht, dass er bereits nach einem Bier ziemlich betrunken war – seine roten Bäckchen leuchteten, er johlte herum und die Flaschen klirrten nur so beim Zuprosten. So locker kannten wir ihn gar nicht. Was so ein bisschen Alkohol ausmacht!