Vielleicht hätte Sascha Lobo auf der re:publica 2012 doch nicht dazu aufrufen sollen, mehr Blogs zu schreiben. Sieht man sich an, was in manchen, durchaus beliebten Blogs an Polemik und Vorurteilen verbreitet wird, wünscht man sich eher das Gegenteil. Auf Schwächeren herumtrampeln halte ich für wirklich armselig, und Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, kann man natürlich kritisieren, aber man sollte immer darauf achten, auf welche Weise man das tut.
Ein Beispiel der etwas anderen Art ist das seit kurzem beliebte „Berlin-Bashing“: Ziel ist es, möglichst polemische und unter keinen Umständen durch irgendwelche Fakten belegte Aussagen wie „alle Berliner hassen Kinder/Schwaben/Touristen“ zu treffen. Eigentlich braucht man sie gar nicht kommentieren, weil man – wenn man länger als 10 Sekunden darüber nachdenkt – darauf kommt, dass solche Pauschalisierungen niemals zutreffen können. Aber nur zur Sicherheit und für den Fall, dass manche Leute nicht soweit denken (können) kurz etwas zu diesem Thema:
Anlass für das wieder in Gang gekommene Gehetze sind Geschichten über einen angeblich schwelenden Konflikt „der Berliner“ mit den zugezogenen Schwaben. Die Schwabenhass-Berichte erfuhren ein Revival, da dieses Café keine Kinderwägen hineinlässt: Berliner Zeitung
Der Betreiber scheint sowieso jemand zu sein, der gerne Regeln aufstellt und alleine diese Tatsache würde mich davon abhalten, dorthin zu gehen. Aber zu sagen, alle Berliner seien blablablub, ist schlicht absurd…das Bild des ewig schlecht gelaunten Berliners finde ich auch etwas übertrieben. Ich selbst war erstaunt über die Freundlichkeit und Offenheit der Berliner, als ich 2004 hierher kam. Da stand ich in Prenzlauer Berg mit meinem Stadtplan und wurde freundlich gefragt, ob man mir helfen könne. Etwas, das in Bayern so wohl nie passiert wäre. Aber das werfe ich den Bayern gar nicht vor, die sind halt einfach ein bisschen reservierter, das ist schon okay und ich würde niemals sagen, dass alle Bayern so sind. Und wenn wir schon bei Klischees sind: Es heißt ja manchmal, die Bayern granteln gerne – ich finde das ungeheuer sympathisch und nett, verbergen sich hinter solchen kauzigen Erscheinungen meist herzensgute Menschen. Und da ist doch dann der Berliner nicht unähnlich. Ich finde das eher lustig und denke, wir sollten alle mal halblang machen und nichts Unmenschliches fordern: Jeder hat sich doch über jeden schon mal aufgeregt, man ist in der U-Bahn/im Bus mal schnell genervt, aber deswegen hasst man bestimmte Leute doch nicht gleich.
Ich denke, dass da etwas unnötig aufgebauscht wird und die eigentliche Problematik überhaupt nicht behandelt wird: Berlin durchlebt seit mehren Jahren eine Veränderung, das ist doch eine Tatsache. Clubs werden geschlossen, Wohnungen teurer, langjährige Anwohner verdrängt – das sind doch keine Erfindungen irgendwelcher Schwabenhasser, das sind Tatsachen, die man mit unzähligen Beispielen belegen kann.
Am Kottbusser Tor in Kreuzberg gibt es nun regelmäßig Demonstrationen gegen diese Entwicklung und auch ich war bei einer Demo gegen Mieterhöhung und Gentrifizierung im Prenzlauer Berg dabei und fand es toll, wie eine Mischung von älteren Menschen mit Migrationshintergrund, Alt-68ern und jüngeren Leuten mit/ohne Migrationshintergrund gemeinsam für ein Ziel auf die Straße gingen. Und zwar nicht gegen Schwaben oder Touristen, sondern für Berlin.
Dieser „Berliner“, die dir im Prenzlauer Berg so freundlich weitergeholfen haben, – hatten die zufällig einen leicht schwäbischen Dialekt? 😉
Aber im Ernst: Der Umgang in Berlin – zumindest im öffentlichen Leben – ist nach 1990 deutlich freundlicher geworden. 1988 noch ließ mich ein BVG-Busfahrer wieder aus- und einsteigen, nachdem ich vergessen hatte, mein Ticket vorzuzeigen (heute würde er dafür gefeuert), ein Bademeister in Reinickendorf stürmte in die Herren-Sammeldusche und fuhr die ca. 18-jährigen Badegäste dort an, sie sollten gefälligst ohne Hose duschen (heute stünde er vor Gericht), und 1987 wurde ich am U-Bahn-Info-Schalter mit der Bemerkung „Det steht da uffm Plan, könnse nich lesen?“ abgespeist (heute gibt’s den Info-Schalter nicht mehr). Das waren damals nicht unbedingt Einzelfälle. Und so etwas habe ich in Berlin schon lange nicht mehr erlebt.
Solche Vergleiche habe ich ja leider nicht, weil ich erst im Jahr 2000 das erste Mal in Berlin war…ich meine, es gibt schon noch die entsprechenden motzigen Durchsagen in der U-Bahn oder im Bus, ob „die Herrschaften jetzt mal aus der Tür treten könnten, damit wir weiterfahren können“ – das sorgt aber meist für Erheiterung, weil es so typisch Berlin ist.